St. Petersburg. September, in den frühen 2000er Jahren. Ich sitze bei offenem Fenster in meinem Zimmer im 13. Stock eines Hochhauses, ganz vorne an der Ostsee. Ein Kind irrt zwischen den Wohntürmen umher und ruft nach seinem Vater: «Paapa!», «Paapa!». Immer wieder hallt sein verzweifelter Ruf zwischen den Hochhäusern hin und her. Ich gehe zum Fenster und schaue in die Tiefe, aber die Nacht ist schon fast ganz hereingebrochen. «Paapa!», – «Paapa!» – «Paapa!». Irgendeinmal verstummt das Rufen…

Im Zug von Bern nach Laupen, ca. 2015. Zwei junge Frauen sitzen neben mir im Abteil und reden angeregt miteinander. Auf einmal sagt die Eine: «Kürzlich hat mein Vater mir gesagt, es wäre besser, ich wäre nie geboren.» – «Das hat mein Vater mir vor einiger Zeit auch gesagt», erwidert die Andere reflexartig.

Unterwegs in der Matterhorn-Gotthardbahn im Goms, strahlender Samstagmorgen, Mitte Januar 2024. Zwei junge Erwachsene, ein Mann und eine Frau, beide mit Zahnspangen, reden über dies und das. Berner Dialekt. Unfreiwillig bin ich im Gedränge des Zuges Mithörer ihres Gesprächs. Die junge Frau berichtet ihrem Begleiter, dass sich ihr Vater am Morgen vor der Abreise sehr über sie genervt habe, weil sie zu laut gewesen sei. Ihre Beziehung zum Vater scheint auch sonst nicht einfach zu sein.

«Paapa», «Paapa», – wo bist du?

Der suchende Ruf des Petersburger Kindes hallt bis heute in mir nach. Unzählige persönliche Gespräche mit jungen Erwachsenen in der Schweiz, in Europa und Russland, hatten diesen Vater zum Thema. Immer wieder dasselbe: Gerade junge Menschen tragen die Sehnsucht nach dem Vater auch als längst Erwachsene in sich herum. Die Sehnsucht, beim Vater angenommen und von ihm geliebt zu sein.

Väter sind entscheidend wichtig für das Rückgrat der Söhne und Töchter! Sie sind unersetzlich. Das war schon immer so und wird immer so bleiben. Fremd-Samenspende wird das nur noch deutlicher machen.

Wir Väter sind aber nicht perfekt. Wir haben unseren eigenen Vatermangel, haben unsere Sorgen, Ängste, erfahren unsere Unvollkommenheit, kennen die Scham über unser Ungenügen in uns. 

Und dennoch: Väter sind wichtig für das Rückgrat der Söhne und Töchter, für die Stärkung ihrer Persönlichkeiten.
Wie können verletzte Väter ihre Rolle trotz ihrer Unvollkommenheit wahrnehmen?

«Unser Vater / Vater unser im Himmel»
Der berühmte Prediger des Evangeliums von Jesus Christus, Paulus, zeigt uns in seinem Brief an die Christen in Ephesus (Epheser 3,14ff) die Grundlage aller Vaterschaft auf:

14 «Deshalb knie ich vor Gott, dem Vater, und bete ihn an, ihn, dem alle Geschöpfe im Himmel und auf der Erde ihr Leben verdanken und den sie als Vater zum Vorbild haben.»

Die persönliche Beziehung zu diesem himmlischen Vater hilft uns unvollkommenen, irdischen Vätern, in unsere Stärke und Autorität und Demut zu kommen, die wir benötigen, um als Väter unseren Kindern Leitbild und Schutz sein zu können. Wir selber brauchen ein Leitbild, nach dem wir uns ausrichten, bei dem wir Schutz und Geborgenheit erfahren trotz all unserer Unvollkommenheit («Sünden»). Wir brauchen Heilung der inneren Verletzungen, die uns Andere zugefügt haben, indem sie uns klein gemacht haben. Wir brauchen einen echten, starken Vater. Wenn wir in unseren Gedanken und vielleicht von Zeit zu Zeit physisch vor diesem Vater im Himmel auf die Knie gehen und IHN anbeten, werden wir als Väter ermutigt. Denn Entmutigung, Resignation, Scham, Rückzug oder Wut aus Verzweiflung sind unsere grossen Gefährdungen.

Gott wird in der Bibel (und nur dort) immer und immer wieder als Vater beschrieben. Als Vater voller Stärke und Autorität und doch voller Liebe. Wieder Paulus, im Brief, diesmal an die Christen in Rom (8,15):

«Denn der Geist Gottes, den ihr empfangen habt [könnt], führt euch nicht in eine neue Sklaverei, in der ihr wieder Angst haben müsstet. ER HAT EUCH VIELMEHR ZU SÖHNEN UND TÖCHTERN GEMACHT. Jetzt können wir zu Gott kommen und zu ihm sagen: «Abba, lieber Vater.»

Vor diesem Vater im Himmel darf ich auch als Erwachsener Kind sein und «Paapa», «Paapa» rufen. Als SEIN Kind darf ich schwach, hilfsbedürftig, aber auch stark und ausdauernd sein, weil ich mit IHM verbunden bin und ER mit mir. Das gibt authentische Stärke (ohne Machogehabe), die auch bei Gegenwind und Sturm hält. Wer vor diesem Vater im Himmel niederkniet -, darf nachher wieder aufstehen in der Autorität und Würde dieses Vaters aller Väter – und v.a. in den wechselnden Stürmen der Zeit stehen bleiben. Standhaftigkeit, Verlässlichkeit ist ein entscheidender Aspekt von Männlichkeit. Wir gewinnen sie aus der persönlichen Abhängigkeit von diesem einen, einzigen Vater. Dann werden wir in ganz neuem Bewusstsein beten: «Vater unser/unser Vater im Himmel».

Wie kann ich niederknien vor diesem Vater im Himmel? Vielleicht ein erstes Mal äusserlich und innerlich zugleich, indem ich IHN einfach in meinem Zimmer leise oder laut als meinen Vater anspreche, anrufe, mich IHM anvertraue und seiner Führung unterstelle. Dazu gehört auch, dass ich sein Wort kennen lernen und mein Leben verbindlich danach ausrichten will. Ich kann zunächst ganz allein einfach einmal lesen, was in diesem Wort Gottes (Bibel, z.B. das Evangelium von Johannes) steht und es ernst nehmen. Das ist eine Willensentscheidung, eine Absichtserklärung, ein erster Schritt aus Glauben in die Arme dieses liebenden Gottes, der sich nach nichts mehr sehnt als nach persönlicher Gemeinschaft mit Ihnen, lieber Leser, liebe Leserin, und mit mir. So kann dann der Geist Gottes, der uns die Gewissheit gibt, dass wir Söhne und Töchter dieses Vaters sein dürfen, Raum gewinnen in unserem Bewusstsein und unserem Herz. In unserem ganzen Leben.

«Paapa», «Paapa»! –  «Abba, lieber Vater!» – Rufen Sie ernsthaft wie das St. Petersburger Kind! Der lebendige Gott wartet nur darauf.

«Permanentes P.S.»:

Natürlich würde es mich freuen, wenn Sie einen Gottesdienst der FeG Laupen/Bösingen oder der Landeskirche oder eine katholische Messe besuchen würden, aber darum geht es nicht primär, sondern darum, dass Sie Jesus begegnen und ER Ihnen.

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