Das war so eine der Bemerkungen meines Vaters, wenn er gesellschaftlich etwas kritisieren wollte.

Eine Redewendung, die heute in Vergessenheit geraten ist. Sehr zu Unrecht, denn sie hat nichts an Aktualität verloren. Die Parallelen zwischen den sozio-kulturellen Verhältnissen in der heutigen westlichen Welt und im damaligen degenerierenden römischen Reich sind auffällig. (Vgl. Anmerkungen am Schluss).

Nicht dass mir die Ideen für die nächsten Blogs ausgegangen wären. Ganz im Gegenteil. Aber beim Lesen in der Bibel bin ich im Brief, den Paulus vor rund 2000 Jahren an die Christen im damaligen multikulturellen Rom geschrieben hat, an einer Passage vorbeigekommen, die auch heute noch topaktuell ist. Da war mir sogleich klar: diese Passage wird mein nächster Blog sein. Dieser Text darf Menschen von heute nicht vorenthalten werden.

Wieder einmal scheint sich der etwas provokante Spruch zu bestätigen: «Die Bibel ist aktueller als die Gratismedien von morgen.»

Vergessen wir dabei nicht, dass Paulus ursprünglich einer der gelehrtesten Männer unter den jüdischen Theologen und vielleicht der glühendste Gegner der damals neuen christlichen Botschaft war, bis ihm Jesus unterwegs nach Damaskus, wo er die dort lebenden Jesus- Anhänger verfolgen wollte, in gleissendem Licht begegnete.

Und wie heisst es in der Kriegs- oder Kriminalberichterstattung manchmal: Dieser Text kann schockierende Inhalte aufweisen. Das gilt auch für diese Passage.

Also: (Römer 1,18-32). 18 Gott lässt aber auch seinen Zorn [seinen Unwillen, seine Enttäuschung] sichtbar werden. Vom Himmel herab trifft er alle Menschen, die sich gegen Gott und seinen Willen auflehnen. Sie tun, was Gott missfällt, und treten so die Wahrheit mit Füßen. 19 Dabei gibt es Vieles, was sie von Gott erkennen können, er selbst hat es ihnen ja vor Augen geführt. 20 Gott ist zwar unsichtbar, doch an seinen Werken, der Schöpfung, haben die Menschen seit jeher seine ewige Macht und göttliche Majestät sehen und erfahren können. Sie haben also keine Entschuldigung. 21 Denn obwohl sie schon immer von Gott wussten, verweigerten sie ihm die Ehre und den Dank, die ihm gebühren. Stattdessen kreisten ihre Gedanken um Belangloses, und da sie so unverständig blieben, wurde es schließlich in ihren Herzen finster. 22 Sie hielten sich für besonders klug und waren die größten Narren. 23 Statt den ewigen Gott in seiner Herrlichkeit anzubeten, verehrten sie Götzenstatuen von sterblichen Menschen, von Vögeln und von vierfüßigen und kriechenden Tieren. 24 Deshalb hat Gott sie all ihren Trieben und schmutzigen Leidenschaften überlassen, so dass sie sogar ihre eigenen Körper entwürdigten. 25 Sie haben die Wahrheit über Gott verdreht und ihrer eigenen Lüge geglaubt. Sie haben die Schöpfung angebetet und ihr gedient und nicht dem Schöpfer. Ihm allein aber gebühren Lob und Ehre bis in alle Ewigkeit. Amen.

26 Weil die Menschen Gottes Wahrheit mit Füßen traten, gab Gott sie ihren Leidenschaften preis, durch die sie sich selbst entehren: Die Frauen haben die natürliche Sexualität aufgegeben und gehen gleichgeschlechtliche Beziehungen ein. 27 Ebenso haben die Männer die natürliche Beziehung zur Frau mit einer unnatürlichen vertauscht: Männer treiben es mit Männern, ohne sich dafür zu schämen, und lassen ihrer Lust freien Lauf. So erfahren sie die gerechte Strafe für ihren Götzendienst am eigenen Leib. 28 Gott war ihnen gleichgültig; sie gaben sich keine Mühe, ihn zu erkennen. Deshalb überlässt Gott sie einer inneren Haltung, die ihr ganzes Leben verdirbt. Und folglich tun sie Dinge, mit denen sie nichts zu tun haben sollten: 29 Sie sind voller Unrecht und Gemeinheit, Habgier, Bosheit und Neid, ja sogar Mord; voller Streit, Hinterlist und Verlogenheit, Klatsch 30 und Verleumdung. Sie hassen Gott, sind gewalttätig, anmaßend und überheblich. Beim Bösen sind sie sehr erfinderisch. Sie weigern sich, auf ihre Eltern zu hören, 31 haben weder Herz noch Verstand, lassen Menschen im Stich und sind erbarmungslos. 32 Dabei wissen sie ganz genau, dass sie nach dem Urteil Gottes dafür den Tod verdient haben. Trotzdem machen sie so weiter wie bisher, ja, sie freuen sich sogar noch, wenn andere es genauso treiben.»

Haben Sie durchgehalten bis jetzt?

Beachten Sie bitte Ihre gedankliche oder emotionale Reaktion. Entrüstung, Wut, Entmutigung…?

Warum missfällt dieser Text sehr vielen Menschen? Das wäre vor 50 Jahren noch nicht in dem Masse der Fall gewesen. Heute löst dieser Text Entrüstung und Ablehnung aus, weil in der Zwischenzeit unser gesellschaftliches Denken von der Schuldorientierung zur Schamorientierung umgepolt worden ist. Schuld («Sünde») gibt es höchstens noch im Strassenverkehr, dem Klima oder dem Mainstream-Denken gegenüber, oder beim Übergewicht… So kann der soziologische, philosophische Grundlagenwechsel zusammengefasst werden. Dabei ist die Grundbedeutung von Sünde Zielverfehlung (und nicht primär moralische Verfehlung). Ein «Sünder», eine «Sünderin», sind also Menschen, die ihr Lebensziel verpassen, die letztlich Gott verpassen.

Natürlich ist der Briefauszug von Paulus summarisch, verallgemeinernd. Man könnte sagen, Paulus beschreibt hier das Mainstream-Denken und Handeln im «alten Rom». Von daher betrachtet ist die Verallgemeinerung angemessen.

Giuseppe Gracia, Schweizer Schriftsteller, Kolumnist und Kommunikationsberater, hat in seinem Essay «Die Abkühlung der Gesellschaft» (vgl. Anmerkungen) vieles von dem, was Paulus formuliert hatte, in unserer heutigen Gesellschaft wieder vorgefunden und beschrieben.

Wenn Sie, liebe Leserin, lieber Leser, den Briefauszug von Paulus als zu negativ, zu pessimistisch, ja diskriminierend empfinden, dann schauen Sie sich doch einfach bei den Gratismedien oder im Internet um.

Es wäre zwar lohnend, würde aber den Rahmen sprengen, auf die einzelnen Aspekte der Diagnose von Paulus einzugehen. Vielleicht lesen Sie den Text noch ein zweites oder ein drittes Mal langsam durch, ev. nach zwei, drei Tagen nochmals und lassen ihn einfach auf sich wirken. Ich wäre nicht erstaunt, wenn Ihnen der eine oder andere Aspekt auf einmal als sehr aktuell erscheinen würde.

Aber bleiben wir nicht beim Negativen stehen. Paulus schreibt ganz am Anfang in der zitierten Passage: «16 Ich schäme mich nicht für die rettende Botschaft [das Evangelium]. Denn sie ist eine Kraft Gottes, die alle befreit, die darauf vertrauen; zuerst die Juden, aber auch alle anderen Menschen. 17 Durch sie zeigt Gott, wie er ist: Er sorgt dafür, dass unsere Schuld gesühnt wird und wir mit ihm Gemeinschaft haben können. Dies geschieht, wenn wir uns allein auf das verlassen, was Gott für uns getan hat. So heißt es schon in der Heiligen Schrift: »Nur der wird Gottes Anerkennung finden und leben, der ihm vertraut.»

Diese Kraft und Befreiung durch Gottes Autorität brauchen wir jetzt schon und werden sie in naher Zukunft dringend brauchen. Alles deutet darauf hin, dass diese Zukunft herausfordernd sein wird.

Zur Vertiefung:

Francis Schaeffer, Wie können wir denn leben?
(Aufstieg und Niedergang der westlichen Kultur), Neuauflage Fontis-Shop. 

Um zu erkennen, wie wir heute leben können, müssen wir verstehen, welche kulturellen und intellektuellen Kräfte uns im Lauf der Geschichte dahin gebracht haben, wo wir heute sind. Schaeffers scharfsinnige Analyse spannt den Bogen vom antiken Rom bis zum 20. Jh. Die Auflösung aller absoluten Werte und Wahrheiten durch Kultur und Wissenschaften schlägt sich massiv in allen Lebensbereichen nieder und überlässt uns in einem Vakuum der Hoffnungslosigkeit. Wer nutzt diese Leere aus? 

Giuseppe Gracia, Von der Abkühlung der Gesellschaft
(Idea-Spektrum Nr. 44/2020, S. 24/25). Kann digital bei mir bezogen werden (leider mit Hervorhebungen).

«Permanentes P.S.»:

Natürlich würde es mich freuen, wenn Sie einen Gottesdienst der reformierten Landeskirche oder eine katholische Messe besuchen oder bei uns in der FEG hereinschauen würden. Aber darum geht es nicht primär, sondern darum, dass Sie Jesus begegnen und ER Ihnen.

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