Schmerzen gehören zum Menschsein, äussere und innere. Wenn kleinen Kindern etwas weh tut, weinen sie. Erwachsene tun sich schwerer damit. – Wie ist es mit dem Schmerz, sich allein zu fühlen? Oder mit chronischen Schmerzen, die jedes Jahr zunehmen? Schmerzen sind nicht objektiv und auch nicht messbar. Ebenso können innere Schmerzen unterschiedlich stark sein. Sie können für kurze Zeit oder über Jahrzehnte dein Leben beeinflussen.

Der besondere Schmerz von Eltern

Eltern mit einem solch starken, anhaltenden Schmerz haben einen Teil ihres eigenen Lebens verloren: Verlustschmerz.

Ob euer kleines Töchterchen in einem Bassin ertrunken ist, ob euer Teenager mit 18 Jahren definitiv in harte Drogen abrutschte, ob euer Sohn von seiner Weltreise nicht zurückkam… Die Reihe solcher Schicksalsschläge liesse sich fortsetzen. Vielleicht, liebe Leserin, lieber Leser, habt ihr selbst etwas Vergleichbares erlebt. Es kann sein, dass ihr Verwandte, Freunde habt, die nur schwer mit einer solchen Verlust-Erfahrung weiter leben können. Oder daran zerbrochen sind. Vielleicht wisst ihr nicht, ob die Tochter noch lebt, die sich von euch losgesagt hat. Vielleicht verbüsst euer Sohn eine langjährige Gefängnisstrafe. Oder ein Unfall hat den Schwiegersohn zum Paraplegiker  gemacht, und die Tochter kommt damit nicht zurecht.

Eltern im Schmerz: Wie leben sie weiter? Wie können sie verarbeiten, was ihnen zugemutet wurde? – Wie lebt ihr weiter als Betroffene? Was gibt euch die Kraft, jeden Tag aufzustehen?

Gute Ratschläge helfen wenig. Wünscht ihr euch von euren Freunden Nähe oder eher Abstand? Möchtet ihr über das Erlebte mit andern sprechen können, oder seid ihr froh, wenn niemand nachfragt oder überhaupt etwas weiss? Habt ihr den Mut (oder die Demut) professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen? Welchen Menschen vertraut ihr, dass sie euch nicht noch mehr belasten? Was tut euch gut? Welche „Strategien“ haben sich bewährt? Hat sich der Schmerz im Lauf der Zeit verändert, hat er sogar nachgelassen? Wie geht es euch in der Ehe, in der Partnerschaft? Eure Art mit dem Schmerz umzugehen ist wahrscheinlich verschieden, beim einen mehr nach aussen gerichtet, beim andern vor allem nach innen? Könnt ihr einander verstehen, in der Unterschiedlichkeit aushalten oder sogar stützen?

Für uns Aussenstehende ist nicht offensichtlich, wie wir helfen können. Jede Situation ist anders, jeder Mensch reagiert anders. – In der Bibel gibt es die Geschichte von Hiob. Vier Freunde kamen zu ihm, nachdem er alles (auch seine Kinder) verloren hatte. Und die Freunde waren eine ganze Woche bei ihm, ohne zu reden. Sie waren einfach da und haben  Anteil genommen. (Nachher haben sie dann schon gesprochen und mit ihrem Reden Salz in Hiobs Wunden gestreut!) Eine Woche da sein und schweigen können! Für die wenigsten von uns ist das machbar. Aber wir können nachfragen; Hilfe anbieten, ohne uns aufzudrängen; uns nicht verletzen lassen, wenn das nicht ankommt, was wir gutmeinend angeboten haben. Eine Karte schreiben und keinen Dank erwarten… Und vor allem nicht ungeduldig sein.

Loslassen und wieder annehmen

In der Bibel finden wir eine kurz erzählte Geschichte*.  Ein Vater „verliert“ seinen zweiten Sohn. Ausser dass der sein Zuhause verlässt, nimmt er noch sein Erbteil mit. –  Jahrelang weiss die Familie nichts von ihm. Lebt er noch? Ist er gestorben? Die Geschichte schweigt auch darüber, wie viele Jahre vergangen sind. Aber eines Tages sieht der Vater (der Ausschau gehalten hat, vielleicht jeden Tag?) in der Ferne seinen Sohn kommen und läuft ihm entgegen.

Einige Gedanken zu dieser Geschichte: Der Vater konnte loslassen. Das ist eine Kunst, die wenige einfach so können. Aber wenn es gelingt, macht Loslassen frei. Der Vater ist nicht an seinem Schmerz zerbrochen. Dass er ihn empfand, erfahren wir erst, nachdem der Sohn wieder daheim war**: „Dieser mein Sohn war tot und lebt wieder, er war verloren und ist wieder gefunden worden.“ – In der Erzählung vergeht kaum Zeit zwischen dem tragischen Verlust und dem „Happy End“.  Die Jahre des Schmerzes und der Trauer werden im Bericht übergangen. Für mich bedeutet es, dass der Vater weiter leben konnte, nicht verbittert, nicht zerbrochen, sondern offen für die Zukunft. Darum war die Freude über die Rückkehr des „verlorenen“ Sohnes so gross und eine Riesenparty wert.

Der Schmerz des Sohnes

Auch der Sohn litt Schmerzen. Fast verhungert, mit zerlumpten Kleidern gleicht er nicht mehr dem jungen Kerl, der damals weggegangen war. Es war kein einfacher Weg, den er gehen musste. Die Rückkehr bedeutete für ihn, sein Scheitern einzugestehen: Ich hab’s nicht geschafft, ich bin am Ende. Seine einzige Hoffnung war: zurück zum Vater.  –  Die Geschichte ist ein Gleichnis. Sie bedeutet mehr, als was sie erzählt. Es gibt viele  Töchter und Söhne, Frauen und Männer, die ihren Ursprung verleugnen, die das Kapital, das ihnen als Erbe zur Verfügung steht, auf verschiedene Weise durchbringen. Vielleicht sind sie von aussen gesehen erfolgreich und nagen nicht am Hungertuch. Es kann aber auch sein, dass sie spüren, dass ihnen das Wichtigste im Leben fehlt.  Wenn ihnen das bewusst wird, egal in welch verzweifelter, beschämender oder aussichtsloser Situation sie sich befinden, gibt es den Weg zurück. Der Vater nimmt mich an als sein Kind, auch wenn ich ihn verlassen habe. Bei ihm ankommen, heisst getröstet werden, in meinem Schmerz. Das habe ich persönlich erlebt, mehr als einmal. Es gibt diesen Vater, der auf uns Menschen wartet. – Auch auf Eltern im Schmerz.  

Anna Elisabeth Baldinger-Bots,   078 800 86 21

 *  Bible.com/de/bible/73/LUK.15.11-2. HFA 

 **https://www.kunstkopie.de/a/rembrandt/rueckkehr-des-verlorenen.html oder (als Beitragsbild eine Reproduktion von J. Weber)

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